#Waffenlobby beim Tatort Goldbach

In den sozialen Medien ärgern sich die Sportschützen, dass sie wieder einmal beim Tatort an den Pranger gestellt wurden. Ich habe mir heute die Kritiken zum Tatort angeschaut. Die „böse“ Waffenlobby, dargestellt durch ein Rüstungsunternehmen das frappierend H+K ähnelt, verkörpert in diesem Tatort die „Schlechtigkeit der Welt“ und ist – erstaunlich – menschlich. 

Um was ging es?

Eine Elfjährige stirbt an einer Schussverletzung im Wald. Ein Nachbarsjunge verschwindet. Ein anderer Nachbarsjunge taucht wieder auf, redet aber nicht. In der Nähe der Leiche wird ein Waffenversteck entdeckt. Die Waffen stammen aus der örtlichen Waffenfabrik. Der Verdacht fällt auf die Sportschützen. Bei einer Kontrolle wird dann eine illegal aus dem Darknet bezogene AK bei einem Sportschützen gefunden, die dieser im Waffenschrank des Vereins lagerte (ziemlich realitätsfremd). Aber weder die Sportschützen, noch das Darknet hatten etwas mit dem Fall zu tun. Ein Ex-Mitarbeiter des Waffenkonzerns (Informatiker und Vater des aufgetauchten Nachbarsjungen) hatte die Kiste mit den Waffen aus dem Werk entwendet und wollte diese verkaufen (ziemlich realitätsfremd). Der Sohn des Diebes führte seine beiden Freunde zum Waffenlager. Der verschwundene Nachbarsjunge nahm sich eine Pistole, in der noch eine Kugel im Lauf steckte, und hatte mit dem Mädchen „gespielt“. Dabei kam es zu der tödlichen Schussabgabe (sehr realitätsnah).

Waffenlobby hätte das verhindern können

Die „böse“ Waffenlobby NRA unterrichtet seit Jahrzehnten Grundschulkinder über die Gefährlichkeit von Schusswaffen. Die NRA geht in die Schulen (ohne Waffen) und erklärt den Kindern, was diese tun sollen, wenn sie zufällig eine Schusswaffe finden. Seit 1988 wurden so über 25 Millionen Grundschüler aufgeklärt mit dem Eddie Eagle GunSafe® Program

Wenn du eine Waffe siehst:
STOP!
Nicht anfassen.
Renn weg.
Erzähle es einem Erwachsenen.

Wenn wir in Deutschland eine echte Waffenlobby ala NRA hätten, dann wären die Grundschulkinder aufgeklärt gewesen. Dann hätten sie gewusst, was beim „Spielen“ passieren kann. Dann wären sie mit dem Fund eventuell ähnlich vorsichtig umgegangen wie mit einem Feuer im Wald: Sie wären weggelaufen und hätten einem Erwachsenen davon berichtet. Doch kommt kein einziger Tatortkritiker auf diese Diskrepanz.

Liegt das daran, dass niemand über die „guten Taten der Waffenlobby“ berichtet?

Ich hatte schon 2014 über dieses Eddie Eagle-Programm geschrieben: Waffen und Kinder: Waffenwahn?  Es gibt auch andere Safety-Kurse der „bösen“ Waffenlobby in den USA. Dort wird aufgeklärt, wie man Selbstmorde mit Schusswaffen erschwert, wie man sich bei Notwehrfällen verhält, wie man Waffen sicher aufbewahrt, wie man „Strohmannkäufe“ erkennt u.v.m. Diese Kurse haben bewirkt, dass tödliche Unfälle mit Schusswaffen bei Kindern um über 80% zurückgegangen sind, obwohl es immer mehr private Schusswaffen in den USA gibt.

Tödliche Unfälle bei Kindern durch Schusswaffen in den USA

Tatort Goldbach in den Medien

Die beste Kritik habe ich bei der SZ gelesen:

Da ist der Ermittler mit leichten Autoritäts- und Alkoholproblemen, dessen Ideale an der Schlechtigkeit der Welt (in diesem Fall verkörpert durch die Waffenlobby) zerbrechen. Da ist die einfühlsame Ermittlerin, die sich um trauernde Eltern und verstörte Kinder kümmert. Und natürlich ist da die energische Vorgesetztenfigur, gespielt von Steffi Kühnert, die eigentlich auf der Seite der Guten ist, aber halt auch noch die Befindlichkeiten der lokalen Machteliten berücksichtigen muss (hier ein Rüstungsunternehmer und ein Winfried-Kretschmann-Doppelgänger). Schließlich gibt es noch die unvermeidliche Moral von der Geschichte, nämlich: Waffen sind böse und (man will ja mit der Zeit gehen) Teile des Internets auch.

Süddeutsche Zeitung vom 1. Oktober 2017

Der beste Tweet ist dieser für mich:

Auch der Spiegel hat diese Anspielung erkannt, die man wohl nicht dicker auftragen konnte. Er kommt aber zu einem interessanten Fazit:

Kommissarin … und ihr Kollege .. ermitteln zwischen Sägewerk, Biobauernhof und einer Waffenschmiede, die ziemlich deutlich an die reale Firma Heckler & Koch in Oberndorf am Neckar erinnert.

Der gesellschaftspolitische Auftrag: Zu zeigen, dass man vor den Grausamkeiten einer globalisierten Welt samt militärisch-industriellem Komplex auch im idyllischen Schwarzwald keinen Schutz findet. Die Waffen, durch die in Kriegen in aller Welt Unschuldige sterben, werden hier produziert. Die Ermittlungen in diesem etwas anderen Heimatkrimi ziehen sich – denn die große Politik schützt das deutsche Handwerk. Auch und vor allem das deutsche Waffenbauerhandwerk.

Die zärtlichste Szene: Der Kommissar versucht den Chef der Waffenschmiede in ein Gespräch zu verstricken, überfällt ihn in seiner Villa, wo er gerade liebevoll mit seinen drei Kindern im Kinderzimmer rumtollt. Wohlfeile, aber wahre Erkenntnis: Auch Waffenproduzenten sind am Ende nur liebende Eltern.

Der Spiegel vom 1. Oktober 2017

Was der Zuschauer bei diesem Tatort „gelernt“ hat, zeigen die Kritiker der ZEIT:

Christian Buß: Ein Waffenhändler spielt genauso liebevoll mit seinen Kindern wie ein Ökobauer. Schöne Szene, als der Kommissar den Besitzer einer im Schwarzwald ansässigen Waffenschmiede aus dem Kinderzimmer reißt, um ihn zu verhören.

Lars-Christian DanielsDas #Darknet trendet im Tatort fröhlich weiter: „Die bestellen sich Kompakt-MGs wie Druckerpatronen!“

Matthias Dell: Ein Magazin rauszunehmen reicht nicht, um eine Waffe zu entwaffnen.

Kirstin Lopau: „Sportschützen stehen immer unter Generalverdacht.“ Und: „Die bestellen sich Kompakt-MGs wie Druckerpatronen.“ Außerdem lernen wir, dass man als Stadtmensch der Kinder zuliebe noch so weit aufs Land ziehen kann – wenn es passieren soll, dann passiert es: „Und dann liegt dein Kind tot im Wald.“ Aber am eindringlichsten ist die Widerlegung der These: „Sie ist elf, sie stirbt doch nicht.“ Vom Anfang dieses Tatorts bis zum Ende ein Alptraum für alle Eltern.

Die Zeit vom 30. September 2017

Gefreut hat mich der Artikel der FAZ, der die „Fakten“ des Tatorts zum Darknet untersuchte und zu Recht daraufhinweist, dass das Darknet sehr klein ist und der illegale Waffenschmuggel noch kleiner. Nach Angabe von VICE beträgt der Umsatz mit illegalen Waffen im Monat 3000 USD in Deutschland – weltweit 70.000. Das sind Peanuts im Verhältnis zum legalen Handel, wo eine einzige Jagdwaffe mit Optik schon 3000 USD kostet und davon täglich in Deutschland gleich mehrere verkauft werden.

Mein Fazit:

Solche Unfälle können wir nur verhindern, wenn wir Kinder aufklären. Nur Waffen wegsperren und nicht darüber reden ist falsch. Dann wissen Kinder nicht, wie sie sich verhalten müssen. Schade, dass wir keine echte Waffenlobby und aufgeklärte Schulleiter in Deutschland haben, die sich dieser Aufgabe annehmen.

5 Replies to “#Waffenlobby beim Tatort Goldbach”

  1. Kompakt-CDs kenn ich, auch Kompakt-PKW. Aber von Kompakt-MGs habe ich noch nie was gehört? Meinten die Tatortschreiberlinge vieleicht MPs wie die Uzi? Oder vieleicht leichte MGs wie das FN Minimi? Und vor allem: woher kann man die beziehen? Aus dem Darknet und dann per Post, wie Lutschbonbons?
    Jaja, der Zuschauer wurde wieder mal mit der Geballten Kompetenz der Fernsehmacher erschlagen.

  2. Thema „illegaler Waffenschmuggel“….
    Der Begriff Schmuggel beinhaltet bereits das Unerlaubte dieses Tuns. Oder hat schon mal jemand was von legalem Schmuggel gehört?

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