Auf Spiegel Online ist gestern ein Artikel erschienen, der sich mit dem politischen und gesellschaftlichen Konflikt zwischen “Sicherheit” und “Freiheit” in Zeiten von Terrorismus und einer ausufernden Überwachungstechnik beschäftigt. Ein sehr guter und wichtiger Artikel, denn auch wir weisen im Rahmen von Diskussionen immer wieder darauf hin, dass von legal besessenen und registrierten Schusswaffen für die Allgemeinheit keine Gefahr ausgeht, was die Statistiken ja auch deutlich zeigen. Die Gefahr, die in Deutschland von legalen Waffen ausgeht, ist ebenso abstrakt und gering, wie die Gefahr hier durch einen Terroranschlag ums Leben zu kommen. Darauf hätte Spiegel Online hinweisen können, wenn sich der Autor Christian Teevsmit den aktuellen Zahlen und Publikationen zu diesem Thema beschäftigt hätte.
Stattdessen schreibt er folgendes:
“Nach jedem Amoklauf gibt es eine Debatte über ein schärferes Waffenrecht. In Deutschland sind rund 5,4 Millionen legale Schusswaffen registriert. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland, was das Arsenal pro Einwohner betrifft, auf Platz vier – hinter den USA, der Schweiz und Finnland. Zwar schätzt die Polizeigewerkschaft die Zahl der illegalen Waffen auf rund 20 Millionen. Dennoch könnte ein umfassendes Verbot die Zahl der durch Pistolen und Gewehre Getöteten wohl senken. Zum Vergleich: In Großbritannien wurde das Waffenrecht in den neunziger Jahren deutlich verschärft. Der Anteil der Tötungsdelikte durch Schusswaffen sank seitdem auf sieben Prozent. In Deutschland liegt dieser Wert bei 26 Prozent, in den USA sogar bei 60 Prozent. Gerne schütteln Deutsche den Kopf über die lockeren Waffengesetze in den USA – doch auch in der Bundesrepublik werden die Freiheitsrechte von Jägern und Sportschützen höher eingeschätzt als die größere Sicherheit vor Schusswaffen.” [Quelle]
Der erste Satz ist vollkommen korrekt recherchiert, es sind tatsächlich rund 5,4 Millionen Schusswaffen in Deutschland legal registriert und im Besitz von Jägern, Sportschützen, Sammlern oder beruflichen Waffenträgern. Auch die Einschätzung der Polizeigewerkschaft, dass etwa 20 Millionen Waffen nicht registriert und somit illegal sind, ist korrekt. Dann wird jedoch die Behauptung aufgestellt, dass ein umfassenderes Verbot die Zahl der Getöteten wohl senken könne.
Dies ist absoluter Quatsch, denn die Zahlen von BKA und Co ergeben eindeutig, dass fast ausschließlich illegale Waffen bei Gewalttaten verwendet werden und legale Waffen, bis auf wenige Ausnahmen, fast nie. Es ist bereits verboten eine Waffe illegal zu besitzen. Es lässt sich nicht noch mehr verbieten. Wer Gewalttaten mit illegalen Schusswaffen verhindern will, der muss aktiv gegen den illegalen Waffenbesitz vorgehen. Das bedeutet: Mehr Kontrollen an den Grenzen und aktive präventive Ermittlungsarbeit in der kriminellen Szene.
Zudem wird bei der Zahl von “20 Millionen illegalen Waffen” jedes Mal verschwiegen, dass ein großer Teil dieser Waffen ein durch die Waffenrechtsverschärfung im Jahr 1972 hausgemachtes Problem sind, weil bis dahin frei erwerbbare Kleinkaliberwaffen Langwaffen plötzlich erlaubnispflichtig wurden. Da viele dieser Waffen den Behörden nicht nachträglich gemeldet wurden, waren sie plötzlich illegal. Und obwohl der Besitz dieser Waffen illegal ist, werden sie nie bei Delikten in Erscheinung treten, weil sie in Schlafzimmerschränken, auf Dachböden oder in feuchten Kellerräumen ein jämmerliches Dasein fristen. Wirklich problematisch sind Waffen in Händen von Kriminellen und diese Personen haben, was der Schwarzmarkt hergibt: Alles.
Der anschließende Vergleich von Deutschland mit Großbritannien ist in der gemachten Form auch unvollständig und falsch wiedergegeben. Es ist richtig, dass die Zahl der Tötungsdelikte mit Schusswaffen in Großbritannien zuletzt zurückgegangen ist, jedoch verschweigt der Artikel zwei wichtige Fakten:
- Die Tötungsdelikte mit Schusswaffen und die Schusswaffendelikte allgemein sind nach dem Verbot in Großbritannien in den ersten Jahren deutlich angestiegen. Das deutet darauf hin, dass das umfassende Waffenverbot nur wenig Einfluss auf diese Delikte hat.
- Zwar sind die Tötungsdelikte mit Schusswaffen in den letzten Jahren gesunken, jedoch sind diese bedingt durch den starken Anstieg bis 2002 heute nicht niedriger als vor der Einführung des Waffenverbots. Auch dies deutet darauf hin, dass Waffenverbote nur wenig Einfluss auf die Anzahl der Gewalttaten haben.
Auch der Anteil der Tötungsdelikte bei denen in Deutschland eine Schusswaffe verwendet wurde ist schlichtweg falsch. 26 Prozent stimmen nicht, es ist fraglich, wo diese Zahl entnommen wurde, da keine Quellen genannt werden. Konkret: Im Jahr 2006 betrug dieser Wert 12,9 % (Mord und Körperverletzung mit Todesfolge), was sich durch eine einfache Google Suche nachvollziehen lässt. Zudem ist die Zahl seit Jahren rückläufig.
Der Autor lässt es sich nicht nehmen auch noch auf “die lockeren Waffengesetze in den USA” hinzuweisen, obwohl in den USA kein einheitliches Waffengesetz gilt, sondern von “ziemlich liberal” bis hin zu “ziemlich restriktiv” alles existiert, weil das Waffenrecht die Bundesstaaten regeln und nicht der Bund.
Zu guter letzt wird dann auch noch moralapostelnd der Finger erhoben und darauf hingewiesen, dass die Freiheitsrechte von Jägern und Sportschützen höher eingeschätzt werden, als “die größere Sicherheit” vor Schusswaffen.
Der Artikel von Christian Teevs hätte großartig werden können, denn die Intention das sogenannte “Supergrundrecht Sicherheit” als dümmliche Propaganda eines unfähigen Innenministers zu entlarven, ist ein sehr schönes und dankbares Thema für einen Journalisten. Durch den nüchternen und sachlichen Vergleich von möglichen unnatürlichen Todesursachen, denen Menschen hier in Deutschland glücklicherweise nur gelegentlich zum Opfer fallen ist dies sehr einfach. Ob Ärztepfusch, Alkoholmissbrauch oder Verkehrsunfälle: Alles ist wesentlich wahrscheinlicher, als durch einen Akt des Terrors zu sterben. Und das alles ist auch wesentlich wahrscheinlicher, als durch den Missbrauch einer legalen Schusswaffe getötet zu werden.
Das Thema Waffenrecht hat in diesem Vergleich nichts zu suchen, denn jährlich sterben durchschnittlich etwa 4 bis 5 Menschen durch den Missbrauch einer legal registrierten Waffe – Behördenwaffen inklusive. Die rund 128 weiteren Opfer (Zahl aus 2006, Tendenz rückläufig!) sterben durch den Gebrauch einer illegalen Waffe auf die kein Waffengesetz der Welt Einfluss hat, weil Kriminelle sich leider nicht an Gesetze halten. Das liegt in der Natur der Sache.
Wir bitten alle Journalisten eindringlich: Bitte unterscheiden Sie bei der Berichterstattung immer zwischen legal und illegal besessenen Waffen. Bitte halten Sie sich an folgende einfache Fakten:
- Die Waffenkriminalität ist in Deutschland insgesamt sehr gering. Zitat aus dem Bundeslagebericht Waffenkriminalität 2010 des BKA: “Insgesamt machen Straftaten, in denen Schusswaffen verwendet wurden, lediglich 0,2% der in der PKS erfassten Fälle aus. Daher ist das für die Bevölkerung aus der Waffenkriminalität resultierende Gefährdungspotential als gering zu bewerten.”
- Selbst ein Totalverbot von Schusswaffen ändert nichts an der Anzahl der Tötungsdelikte, da diese zu ca. 97% entweder mit so oder so bereits illegalen Schusswaffen, oder mit anderen Tatmitteln begangen werden. Die seltenen Tötungsdelikte mit legalen Schusswaffen sind in der Regel Beziehungsdramen, bei denen das Tatmittel keine Rolle spielt.
- Ein Totalverbot von Schusswaffen verhindert keine “Amokläufe”, denn in Staaten wie z.B. China, wo für die Bevölkerung ein totales Verbot von Schusswaffen seit Jahrzehnten existiert, geschehen leider dennoch “Amokläufe” – nur eben mit Messern, Äxten, Macheten, Brandsätzen, Bomben, PKW – teilweise mit ähnlich hohen, oder sogar höheren Opferzahlen.
- Ein Waffenschein ist eine Berechtigung zum Tragen einer Waffe in der Öffentlichkeit, die Sportschützen und Jägern nicht erteilt wird. Sportschützen und Jäger haben eine Waffenbesitzkarte, die zum legalen Erwerb und Besitz von Schusswaffen berechtigt.
Ausgehend von diesen Fakten kann bei der Berichterstattung dann eigentlich kaum noch etwas schief gehen.
Es wäre schön gewesen, wenn diese Fakten auch in den Artikel von Christian Teevs eingeflossen wären, denn das Thema “Sicherheit” und “Freiheit” ist zu wichtig, um unsachlich und nicht fundiert darüber zu berichten.
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Wobei in Dossenheim ausnahmsweise mal der Begriff „Amok“ einigermaßen passte.
Medien halten sich bei diesem Thema nicht an Zahlen, Daten oder Fakten. Bereits der Begriff „Amoklauf“ ist ein künstliches Konstrukt der Medien. Man vergleiche das „Geiseldrama“ in Karlsruhe und den „Amoklauf“ in Dossenheim. Einziges Unterscheidungsmerkmal ist hier der Legalitätsstatus des Tatmittels. Über die Motive dieser offensichtlichen Kampagne kann jeder selbst spekulieren.