In der Huffington Post erschien am 29.07.2014 ein Artikel einer besorgten Mutter, dem Namen nach wahrscheinlich eine Ungarin (sie schreibt auch, dass sie in Europa aufwuchs und fast niemanden kannte, der eine Waffe hatte), die sich verwundert und ängstlich fragt, warum ihr 4-jähriger Sohn so gerne mit Waffen, seien es die Pistolen und Schwerter seiner Playmobil-Männchen, seien es selbst gebastelte Waffen aus allen möglichen Materialien, spielt. Und was sie dagegen tun kann. Über ihr erstes Zusammentreffen mit einer Schusswaffe schreibt sie:
„Ich habe noch nie eine Waffe gesehen, bis ich meinen Schwiegervater vor ein paar Jahren kennen lernte. Er lebt auf einer Farm in Pennsylvania und sein Schrank neben seinem Bett ist voller Schrotflinten. Er benutzt sie zum Jagen und um kranke Tiere oder unwillkommene Murmeltiere zu schießen. Einmal, als wir zu Besuch waren, ließ er seine Schrotflinte ganz zwanglos an ein Auto gelehnt stehen, das wir benutzen wollten. Als ich sah, dass mein Mann die Waffe aufnahm und wegbrachte, war mir mulmig und ich fühlte mich unbehaglich. Was, wenn sie los geht? Machen Waffen das, einfach so los gehen? Ich weiß, dass viel an meinem Unbehagen gegenüber Waffen (…) dem Umstand geschuldet ist, dass ich nicht viel darüber weiß.
Ich weiß nicht, wie man sie sicher handhabt. Ich weiß nicht, was ich tun muss, wenn eine auf mich gerichtet ist. Offen gesagt ich verstehe ihren Sinn nicht jenseits von dem, Dinge(sic!) zu töten.“
Immerhin, sie hat es richtig erkannt: sie weiß nichts über Schusswaffen
… und hat deswegen Angst vor ihnen. Ihr Ehemann ist wahrscheinlich deswegen so entspannt im Umgang mit der Waffe, weil er sie von Kindheit an kennt und gelernt hat, was er tun muss, damit sie nicht schießt. Wo kommt diese absurde Furcht eigentlich her, dass eine Waffe „einfach so“ losgehen könnte? Gehen ihre Küchengeräte „einfach so“ los, ohne dass sie etwas damit macht wie den Startknopf betätigen? Fährt ihr Auto ohne ihr Zutun einfach los? – Wahrscheinlich nicht.
Wenn dieses Unbehagen da ist – warum fragt sie ihren Mann oder Schwiegervater nicht einfach die Fragen, die ihr auf der Zunge brennen. Die würden ihr die Waffe bestimmt erklären und könnten ihr zumindest einen Teil ihrer Furcht nehmen. Und ihr erklären, was man mit der Waffe noch tun kann, außer „Dinge töten“. Zum Beispiel Spaß haben (sportliches Schießen). Oder dass „Dinge töten“ oder verletzen eben auch dazu dienen kann, sich und die Seinen vor Verletzung und Tod zu schützen.
Dass sie nicht weiß, was zu tun ist, wenn eine Waffe auf sie gerichtet ist, hat nicht direkt mit der Waffe an sich zu tun, sondern damit, wie man sich bei einem kriminellen Angriff (Raub, Vergewaltigung, Entführung, Mord- oder Totschlagabsichten aus diversen Gründen) verhalten sollte. Das ist ein weites Feld und viele Fähigkeiten wie Psychologie, Lageeinschätzung u.a. spielen da rein. Dazu bedarf es Schulungen, die über rein technisches waffenloses Selbstverteidigungstraining bzw. Selbstverteidigungstraining mit Schusswaffe hinausgehen.
Aber noch mal zurück zur Angst
Man kann vor etwas Angst haben, es dabei belassen und versuchen, der Situation soweit es geht auszuweichen. Oder man beschäftigt sich mit dem, was einem Angst macht und versucht sie zu überwinden. Ich selbst hatte Angst vor Haien (ja, „der weiße Hai“ hatte auch bei mir Spuren hinterlassen) und damit Gewässer im Allgemeinen und Höhe.
Gegen Angst Nr. 1 lernte ich Tauchen und beschäftigte mich mit dem Tier „Hai“. Ich lernte, wie unwahrscheinlich es ist, von einem Hai attackiert zu werden, was man beachten muss, damit ein Haiangriff noch unwahrscheinlicher ist als ohnehin schon und was für faszinierende Tiere Haie sind. Ergebnis: ich bin beim Tauchen schon Haien begegnet und bin deswegen nicht senkrecht aus dem Wasser gehüpft, im Gegenteil, es war ein erhebender und denkwürdiger Moment.
Gegen Angst Nr. 2 lernte ich Klettern. Ich habe eine zeitlang in einem Kletterpark gearbeitet.
Wenn man bei Angst Nr. 1 „Hai“ durch „Waffe“ und „Tauchen“ durch „Schießen“ ersetzt, kommt man recht gut auf ein identisches Ergebnis.
Aber weiter zu der Dame und ihrem Waffen-affinen Sohn:
„Ich weiss nicht, wie mein Sohn über Waffen und Schusswaffen erfuhr. Wie erfährt irgendein Kind darüber? Wir schauen keine gewalttätigen Fernsehsendungen oder die Nachrichten, wenn er in der Nähe ist. Wir besitzen keine Waffen, wir sprechen nicht über Waffen, wir lesen nichts über Waffen und wir leben weit weg von meinen Schwiegereltern und ihrem Waffenschrank.
Es scheint, als käme sein Wissen über Waffen vom gleichen „Kleiner-Junge-Gen“, das auch das Talent, Motorengeräusche zu imitieren, hervorbringt. Ich weiß, dass er von Waffen wusste, schon bevor ich ihm einen Ritter mit Schwert und einen Cowboy, der mit einer Waffe im Holster geliefert wurde, kaufte. Wenn ich heute zurück blicke, frage ich mich, ob ich die Schusswaffe und das Schwert hätte entfernen sollen. Aber das fühlt sich….falsch an. Cowboys haben Schusswaffen. Polizisten haben Schußwaffen. Ritter erlegen Drachen mit Schwertern. Wenn ich ihm eine Spielzeug-Küche gekauft hätte, hätte ich denn dann die Herdplatten entfernt, weil er sich an den echten verbrennen kann?
Ich habe schon sehr früh beschlossen, dass ich keine Spielzeugwaffen kaufen werde, die in die Hand meines Sohnes passen. Letztendlich muss ich das gar nicht, weil er seine eigenen erschafft. Alles in unserem Haus kann in eine Waffe verwandelt werden: ein Spielzeugbesen, der an ein Fernrohr gebunden wird. Einige Duplo-Bausteine und Lego-Eisenbahnschienen. Sein Frühstückstoast nach einigen gezielten Bissen.“
„Kleiner-Junge-Gen“
Puh, das sollte die Dame keine Gender-Mainstreamer hören lassen! Ich persönlich denke durchaus, dass es Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt und dass diese nicht nur ein „soziales Konstrukt“ sind, aber dass es gleichzeitig auch immer eine gewisse Anzahl an Individuen (!!! Ja, meiner Meinung nach existiert so etwas, nicht nur kollektivistische Wesen! ) gibt, die aus der Rolle fallen.
Ich selbst war als Kind das, was Amerikaner einen „Tom-boy“ nennen, also ein Mädchen, das ich eher wie ein Junge benimmt und „Jungs-Sachen“ macht. Insofern kann ich, trotzdem ich eine Frau bin, aus eigener Erfahrung wissen, wie es ist, mit Rittern (mit Schwertern) zu spielen und sich Spielen wie „Räuber und Gendarm“ oder „Cowboy und Indianer“ hinzugeben. Man rennt wild durch die Gegend, sucht Deckung hinter allem möglich und schießt „peng peng“ auf andere, die, wenn virtuell getroffen, bis 3 oder 10 zählen müssen, weil „tot“. Macht Spaß!
Nun aber zu ihren Überlegungen, was für Auswirkungen dies auf die Psyche ihres Sohnes haben kann:
„Als Mutter kämpfe ich damit, die richtige Balance zu finden zwischen ‚er ist ein Junge, Jungs spielen mit Cowboys und Rittern’ und ‚oh Gott, wenn er mit diesen Spielzeugwaffen spielt, wird er dann später eine gewalttätige Person werden?’ Ich weiß, dieser Satz ist nicht schön, aber mit diesen regelmäßigen(!sic!) Schul-Schießereien in den Nachrichten, frage ich mich, ob sich das Maß für diese Art Dinge verändert hat.
Ich erkläre ihm, so gut ich es kann, die Komplexität von Konflikten und die Endgültigkeit des Todes und hoffe, dass all dies zu ihm zurückkommt, wenn es darauf ankommt. Und meine Hoffnung ist, dass es egal ist, weil er nie eine echte Waffe in seinen Händen hält und nie eine auf ihn gerichtet sein wird. Aber das wird vielleicht nicht der Realität entsprechen.“
Nun, wie der Sohn sich entwickelt,…
…hängt wohl auch zu einem großen Teil von ihr selbst ab. Anzunehmen, dass er zum Amokläufer wird, nur weil er in seiner Kindheit mit Spielzeugwaffen spielte, entbehrt doch jeder Faktenlage. Wenn man sich überlegt, dass frühere Generationen ganz selbstverständlich „Cowboy und Indianer“ spielten, Spielzeugwaffen oder gar echte, scharfe Waffen hatten, dann müssten wir alle schon längst dahingemeuchelt sein.
Die Hintergründe von Schulmassakern liegen doch ganz woanders, in psychischen Problemen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, sei es durch verordnete Medikamente (Psychopharmaka), Mobbing, Außenseitertum. Es liegt auch in der Verantwortung der Eltern, die eigenen Kinder zu selbstbewussten, empathischen und verantwortungsvollen Menschen zu machen. Wenn sie das sind, ist schon viel dafür getan, dass sie keine Mörder werden.
Auch zu dem Problem des Erlernen von der „Endgültigkeit des Todes“ und „Komplexität von Konflikten“ können Eltern viel beitragen oder aber das Umgehen-können mit diesen Gegebenheiten des Lebens vermeiden. Wenn Eltern beispielsweise Kindern erzählen, der alte Familienhund sei auf einen Bauernhof gebracht worden, statt ihnen zu erklären, dass alles Leben endlich ist und er gestorben ist.
„Die Realität ist so: in diesem Land sind Waffen allgegenwärtig. Ich muss andere Eltern fragen, ob sie Waffen im Haus haben und ob die sicher weggeschlossen sind, bevor ich Sam dort spielen lasse, wenn er älter ist. Ich werde ihm beibringen müssen, was zu tun ist, wenn ein Freund mit einer Waffe in seiner Nähe spielt. Ich werde ihm beibringen müssen, was zu tun ist, wenn ein Bewaffneter seine Schule angreift.
Das sind keine Gegebenheiten, die ich mag, aber in der Kindererziehung geht es selten um die eigene Behaglichkeit bezüglich gewisser Themen. Ich meine, fühle ich mich wohl damit zu wissen, dass er eines Tages Sex haben wird, (Alkohol) trinkt und ein Auto fährt? Nein. Aber ich muss ihm beibringen, wie er all diese Dinge sicher tut.“
Ja, ich halte es für eine gute Idee, sich damit zu beschäftigen, wie die Eltern von Freunden und seine Freunde die Waffensicherheit handhaben. Solange er noch nicht Schwimmen kann, würde ich aber gleich noch fragen, ob ein Pool auf dem Grundstück ist und wie der abgesichert ist. Es ertrinken sehr viel mehr Kinder als dass sie durch Schusswaffen umkommen.
Und ich würde ihm selbst Sicherheit im Umgang mit Schusswaffen beibringen, dann weiß er selbst, wie mit unsicheren Situationen umzugehen ist.
Und zu Sex, Alkohol und Autofahren: auch wenn viele Eltern ihre Kinder von allem fernhalten und bewahren wollen, so ist das falsch. Alles zu seiner Zeit natürlich. Aber Leben lernt man nur dadurch, indem man ihm auch ausgesetzt ist. Wer in einem goldenen Käfig lebt, lernt nichts und ist nicht gerüstet für das Leben.
Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog der Autorin.
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Als ich die ersten Zeilen las, dachte ich zuerst : na Super, wieder mal ein U-Boot der Anti-Waffenlobby. Doch zu Ende gelesen war ich baff erstaunt. Das ist ein regelrechter Aufruf an alle Hoplophobieker sich mal ernsthaft mit dem Thema Waffen in Privathand und -Haushalten, und allgemein deren Wert in der Gesellschaft, ernsthaft auseinander zu setzen. Ich bezweifel aber das die Autorin dieses Leserbriefs wirklich so Waffen-unbedarft ist wie sie sich darstellt. Für mich ist der Text dafür zu raffiniert abgefasst. Sollte ich mich irren, meine Hochachtung für jemanden der bereit ist über seinen Tellerrand zu schauen und das öffentlich kundtut. Eine Sache von der sich so mancher Politiker und Reporter eine DICKE Scheibe von abschneiden sollte !
Toller Beitrag, gehört verbreitet. Sorry, heißt ja jetzt auf Neudeutsch „teilen“……
Claudia, du hast eigentlich schon ALLES gesagt, was es zu den Bedenken einer unwissenden Frau zu sagen gibt. Besonders angesprochen hat mich dein Vergleich zur Angst vor Haien. Ich bewundere diese Tiere mittlerweile und habe seit ich tauche gelernt, dass auch Fische („hässliche“ Muränen ebenso wie niedliche „Nemos“) genauso Gefühle haben wie „niedliche“ Kaninchen und „hässliche“ Ratten. Aber um auf den Anlass deines sehr gut gewählten Vergleiches zu kommen. DIESE Mutter macht sich zwar einerseits Sorgen, sie gehört aber glücklicherweise zu denen, die sich auch Gedanken macht. Das „Für und Wider“ ihrer Argumentation lässt mich fasst zu dem Schluss kommen, dass sie eher zum Nachdenken anregen möchte. Ich glaube, sie fordert uns in einer subtilen Art und Weise auf, Stellung zu nehmen. Das meine ich keineswegs negativ. Sie hat sehr oft ihre aufgeführten Argumente gegen Waffen ad absurdum geführt, indem sie nachträglich gute Argumente FÜR die „Affinität“ ihres Jungen aufgelistet hat. Ich persönlich finde es zumindest bemerkenswert, dass sie nicht einfach GEGEN die Waffenliebe ihres Sohnes ist, sondern hinterfragt, WARUM das so ist. Als Sportschütze (Großkaliber) Vater von 3 Kindern und ausgebildeter Pädagoge könnte ich hier meinen „gesammelten Sermon“ ablassen. Das erspare ich mir. Aber einen Klugschiss muss ich noch los werden: Es spielt keine Rolle, ob Junge oder Mädchen (meine Schwester hatte 10 Jahre vor mir eine WBK). Das „Spiel“ Räuber und Gendarm/ Cowboy und Indianer etc. ist zumindest für alle Kinder, die noch die Möglichkeit haben sich mit Freunden zu treffen „rumtreiben“ und Erlebnisse zu haben, für die man keine Internetspiele braucht, immer schon faszinierend gewesen. Um die Ängste der Mutter weiter zu spinnen würde das bedeuten, dass alle Generationen der letzten 50 Jahre, die nicht nur in der Schule „gebüffelt“ haben und nicht nur vor der Glotze sitzen, aber auch diejenigen, die oft vor der Glotze oder dem Computer sitzen zu potentiellen Mördern werden. Es ist immer eine Frage der (intensiven) Betrachtung. Oberflächliche Beurteilungen können wir bei der „Blöd-Zeitung“ lesen.